In vielen Großstädten in Deutschland existieren sog. sozialen Erhaltungs- oder Milieuschutzgebiete, in denen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung erhalten und die Gentrifizierung verhindert werden soll. In diesen Gebieten wird jede bauliche Maßnahme unabhängig von der Baugenehmigung nach der Bauordnung einer zusätzlichen Genehmigungspflicht unterworfen. Ziel ist es, unangemessene Modernisierungsmaßnahmen, die zur Erhöhung der Miete und damit zu einer Abwanderung der angestammten Bevölkerung führen können, zu verhindern. Erhaltungsgebiete entstehen durch den Erlass von sog. Erhaltungssatzungen, in denen insbesondere das besondere Gebiet und die Ziele konkret festgelegt werden.
Im Bereich von sozialen Erhaltungsgebieten hat die jeweilige Gemeinde ein Vorkaufsrecht in jedem Verkaufsfall eines Grundstücks. Insbesondere die Bezirke im Land Berlin haben in der Vergangenheit von diesem Vorkaufsrecht häufiger Gebrauch gemacht, insbesondere, wenn der ursprüngliche Käufer sich nicht in einer Vereinbarung mit dem Bezirk zur Unterlassung bestimmter Baumaßnahmen verpflichten wollte. Die Ausübung eines solchen Vorkaufsrechts aber ist nur gerechtfertigt, wenn sie im öffentlichen Interesse liegt (schließlich werden für den Ankauf öffentliche Gelder ausgegeben, und zwar in Höhe des mit dem ursprünglichen Käufer vereinbarten Kaufpreises). § 26 BauGB konkretisiert, wann die Ausübung gerade nicht im öffentlichen Interesse liegt und schließt in § 26 Nr. 4 BauGB die Ausübung u.a. dann aus, wenn das Grundstück entsprechend den Zielen und Zwecken der Erhaltungssatzung bebaut ist und genutzt wird.
Die Berliner Bezirke begründeten die Ausübung des Vorkaufsrechts bisher regelmäßig wie folgt: Ein hoher Kaufpreis lasse erwarten, dass der Käufer das Grundstück anders als bisher nutzen und den Kaufpreis durch mieterhöhende bauliche Maßnahmen refinanzieren oder die Mietwohnungen langfristig zu Eigentumswohnungen umwandeln werde. Das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht Berlin sind dieser Argumentation in ständiger Rechtsprechung gefolgt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 9. November 2021 (Az.: 4 C 1.20) die Ausübung des Vorkaufsrechts mit dieser Begründung für rechtswidrig erklärt, weil die Ausübung nach § 26 Nr. 4 BauGB ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift berücksichtige keine zukünftigen Ziele und Gefahren, sondern ausschließlich den Zustand der Bebauung und ihre Nutzung zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts. Die Annahme, dass der Käufer in Zukunft Nutzungsabsichten verfolgt, die den Erhaltungszielen zuwiderlaufen, verletzt den Käufer daher in seinen Rechten.
In Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt, in dem die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigen die Mieten. Die Ausübung von Vorkaufsrechten sichert nicht vor steigenden Mieten. Nur durch Neubau von Wohnungen und die damit bewirkte Ausweitung des Angebots kann der Mietenanstieg gebremst werden. Ein Wohnungsbauförderungsprogramm ist aber politisch nicht in Sicht. Darüber hinaus ist die Ausübung von Vorkaufsrechten für die Gemeinden sehr teuer, denn sie sind verpflichtet, den mit dem ursprünglichen Käufer vereinbarten Kaufpreis zu zahlen. Der Berliner Senat plant insoweit eine Bundesratsinitiative zur Änderung der Vorschriften des Baugesetzbuchs zur Ausübung des Vorkaufsrechts, um die Regelungen zur Ausübung des Vorkaufsrechts entsprechend der Argumentation des Landes Berlin zu ändern.
Beitrag von unserem Partner Dirk Meißner